Reisekrankheit, medizinisch als Kinetose bezeichnet, ist eine vorübergehende Störung des Wohlbefindens, die durch passive Bewegungen während des Reisens ausgelöst wird. Diese häufige Erkrankung entsteht durch widersprüchliche Sinneseindrücke zwischen dem Gleichgewichtsorgan im Innenohr und den visuellen Wahrnehmungen. Während das Innenohr Bewegungen registriert, nehmen die Augen möglicherweise eine stabile Umgebung wahr oder umgekehrt.
Die Intensität der Reisekrankheit variiert je nach Transportmittel erheblich. Schiffsreisen verursachen häufig die stärksten Beschwerden aufgrund der unvorhersagbaren Wellenbewegungen, während Flugreisen meist nur bei Turbulenzen problematisch werden. Autofahrten betreffen besonders Mitfahrer, die nicht auf die Straße blicken können.
Etwa 25-30% der Bevölkerung sind besonders anfällig für Reisekrankheit, wobei Kinder zwischen 2 und 12 Jahren am häufigsten betroffen sind. Die charakteristischen Symptome umfassen:
Das Gleichgewichtsorgan im Innenohr, bestehend aus den Bogengängen und Otolithenorganen, spielt eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Reisekrankheit. Diese Strukturen registrieren Bewegungen und Lageänderungen des Kopfes und senden entsprechende Signale an das Gehirn. Problematisch wird es, wenn diese vestibulären Informationen nicht mit den visuellen Eindrücken übereinstimmen – ein Phänomen, das als sensorischer Konflikt bezeichnet wird.
Die individuelle Veranlagung zur Reisekrankheit ist stark genetisch geprägt. Studien zeigen, dass Familienmitglieder oft ähnliche Empfindlichkeiten aufweisen. Besonders Kinder zwischen 2 und 12 Jahren sind betroffen, da ihr Gleichgewichtssystem noch nicht vollständig ausgereift ist. Mit zunehmendem Alter nimmt die Anfälligkeit meist ab.
Verschiedene Faktoren können das Risiko erhöhen:
Frauen sind generell häufiger betroffen als Männer, was möglicherweise auf hormonelle Einflüsse zurückzuführen ist.
Dimenhydrinat ist der am häufigsten verwendete Wirkstoff gegen Reisekrankheit und in Deutschland unter den Markennamen Vomex A und Superpep erhältlich. Diese Präparate wirken zuverlässig gegen Übelkeit und Erbrechen und sind in verschiedenen Darreichungsformen verfügbar. Diphenhydramin stellt eine weitere bewährte Alternative dar, die besonders bei empfindlichen Personen gute Ergebnisse erzielt.
Scopoderm TTS bietet eine praktische Lösung für mehrtägige Reisen. Das Pflaster wird hinter das Ohr geklebt und gibt den Wirkstoff kontinuierlich über 72 Stunden ab. Diese Anwendungsform eignet sich besonders für Kreuzfahrten oder längere Autofahrten, da eine einmalige Anwendung ausreicht.
Für Personen, die natürliche Alternativen bevorzugen, stehen homöopathische Mittel wie Cocculus und Nux vomica zur Verfügung. Diese Präparate sind besonders schonend und können auch bei Kindern und Schwangeren nach Rücksprache mit dem Arzt angewendet werden.
Die meisten Medikamente gegen Reisekrankheit sind in Deutschland rezeptfrei erhältlich und werden in verschiedenen Formen angeboten:
Die Dosierung richtet sich nach Alter und Körpergewicht. Erwachsene nehmen in der Regel 50-100 mg Dimenhydrinat ein, während Kinder zwischen 6-12 Jahren die halbe Dosis erhalten. Für Kleinkinder ab 2 Jahren sind spezielle niedrig dosierte Präparate verfügbar. Die Einnahme sollte 30-60 Minuten vor Reiseantritt erfolgen, um optimalen Schutz zu gewährleisten.
Vomex A Dragees und Superpep Kaugummi sind speziell für Kinder entwickelt worden. Die Dragees lassen sich leicht schlucken und haben einen neutralen Geschmack, während die Kaugummis bei älteren Kindern beliebt sind und gleichzeitig gegen Mundtrockenheit helfen.
Antihistaminika wie Dimenhydrinat und Diphenhydramin entfalten ihre Wirkung direkt im zentralen Nervensystem. Sie durchdringen die Blut-Hirn-Schranke und greifen gezielt in die Signalübertragung im Gleichgewichtszentrum ein. Dadurch wird die Entstehung von Übelkeit und Erbrechen an der Quelle verhindert.
Das Brechzentrum in der Medulla oblongata verfügt über verschiedene Rezeptoren, die bei Reisekrankheit aktiviert werden. Antihistaminika blockieren spezifisch die H1-Rezeptoren und unterbrechen so die Weiterleitung der Signale, die zu Übelkeit und Erbrechen führen würden. Zusätzlich beeinflussen sie die Acetylcholin-Rezeptoren und verstärken damit die anti-emetische Wirkung.
Der Erfolg der Behandlung hängt maßgeblich vom richtigen Timing ab. Die Einnahme sollte prophylaktisch erfolgen, bevor die ersten Symptome auftreten. Bei Tabletten liegt der optimale Zeitpunkt 30-60 Minuten vor Reisebeginn, bei Kaugummis bereits 15-30 Minuten. Scopolamin-Pflaster sollten sogar 4-6 Stunden vor der Reise aufgeklebt werden.
In besonderen Situationen können verschiedene Darreichungsformen kombiniert werden. So kann beispielsweise eine Tablette mit einem Kaugummi ergänzt werden, wenn die Reise länger dauert als erwartet. Wichtig ist dabei, die Gesamtdosis im empfohlenen Bereich zu halten und Überdosierungen zu vermeiden.
Die Wirkungsdauer variiert je nach Präparat erheblich. Tabletten wirken typischerweise 4-6 Stunden, während Kaugummis eine kürzere Wirkdauer von 2-4 Stunden haben. Scopolamin-Pflaster bieten mit bis zu 72 Stunden die längste Wirkdauer und sind daher ideal für mehrtägige Reisen geeignet.
Scopolamin-Pflaster erfordern eine besondere Anwendungstechnik. Das Pflaster wird auf die saubere, trockene Haut hinter dem Ohr geklebt und sollte während der gesamten Anwendungsdauer nicht entfernt werden. Nach dem Aufkleben müssen die Hände gründlich gewaschen werden, um eine versehentliche Übertragung des Wirkstoffs in die Augen zu vermeiden. Bei Hautirritationen sollte das Pflaster entfernt und auf die andere Seite gewechselt werden.
Bei der Anwendung von Medikamenten gegen Reisekrankheit können verschiedene Nebenwirkungen auftreten. Zu den häufigsten gehören Müdigkeit, Mundtrockenheit und Sehstörungen, die besonders bei antihistaminischen Wirkstoffen wie Dimenhydrinat beobachtet werden.
Bestimmte Erkrankungen erfordern besondere Vorsicht oder schließen die Anwendung aus. Dazu zählen Engwinkelglaukom, Prostatavergrößerung, schwere Herzerkrankungen und epileptische Anfälle in der Vorgeschichte. Wechselwirkungen können mit anderen zentral dämpfenden Medikamenten, Alkohol und bestimmten Antidepressiva auftreten.
Autofahrer und Piloten sollten die sedierenden Eigenschaften vieler Reisekrankheitsmittel beachten und diese nicht vor dem Führen von Fahrzeugen einnehmen. In Schwangerschaft und Stillzeit ist eine ärztliche Beratung unerlässlich. Ältere Patienten benötigen häufig eine angepasste Dosierung, da sie empfindlicher auf anticholinerge Nebenwirkungen reagieren können.
Neben medikamentösen Behandlungen gibt es zahlreiche nicht-medikamentöse Methoden zur Vorbeugung von Reisekrankheit. Die richtige Sitzplatzwahl spielt eine entscheidende Rolle: Im Auto sollten Sie vorne sitzen, im Flugzeug über den Tragflächen und auf Schiffen möglichst in der Mitte des Schiffes.
Ingwer hat sich als besonders wirksam erwiesen und kann bereits 30 Minuten vor Reiseantritt eingenommen werden. Bei wiederkehrenden oder schweren Symptomen trotz aller Maßnahmen sollten Sie einen Arzt konsultieren, um mögliche zugrundeliegende Erkrankungen auszuschließen.